Zu den Bildern von Dagmar Rauwald von Christian Kaufmann 
English Version below
Hintergründiges mit Humor und Ironie sichtbar zu machen, soziales Engagement zu zeigen, bezeichnet eine inhaltliche Qualität von Dagmar Rauwalds Malerei. Assoziationen und Verknüpfungen bestimmen das Denken der Malerin und ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Werk. Häufig überlagert sich dabei die Untersuchung des kollektiven Gedächtnisses mit dem ihres eigenen biographischen. 
Dagmar Rauwalds Bilder fragen nach dem ‘Wer sind wir?’ und scheuen sich nicht, dabei zugleich die dunkle Seite der Frage zu berühren. (...)
Die Malerei Dagmar Rauwalds lebt von einem Höchstmaß an emotionaler Ausdruckskraft. Farbe wird in raschen Schwüngen aufgetragen und ballt sich dort körperhaft zusammen. Obgleich sich die Malerei dabei stets auf ein Bildzentrum zu orientiert, das aus zumeist einem oder mehreren Körpern besteht, demonstrieren die Kompositionen Offenheit zu den Bildrändern hin. Offenheit, Transparenz, Lasur, Schwere, Opakheit oder Körperlichkeit sind damit einige bildimmanente Gegensätze, die in der Malerei Dagmar Rauwalds spannungsvoll gegeneinander gesetzt werden.(...)
Eine gestische Malerei, die an das Action Painting oder Informel der 50er Jahre des 20 Jahrhunderts erinnert und wie diese nach innen gerichtet scheint, um die eigene Psyche, die eigene emotionale Befindlichkeit zu erforschen und sichtbar zu machen. Doch anders als die Maler des Informel die mit der Erforschung der eigenen Gefühlswelt die äußere Realität aus ihren Bildern ausschalteten, bleibt die Anbindung an die körperlich-gegenständliche Welt bei Dagmar Rauwald bestehen, formieren sich die Pinselschwünge zu Figuren und immer wieder zu Gesichtern. Die oftmals Personen oder Figuren darstellenden Motive befinden sich in der Schwebe zwischen Erscheinen und Verschwinden, in der Balance zwischen einem Noch-nicht und einem Nicht-mehr.(...) 
Bezeichnend für die Arbeiten von Dagmar Rauwald ist weiterhin die Verschränkung von Malerei und Schrift. Worte und Sätze aus ihren Tagebuchnotizen ergänzen die malerischen Notationen des Pinsels und fließen in die Bildkomposition mit ein. Mit Sigmar Polke verbindet die Künstlerin im Übrigen nicht nur die Kombination von Sprache und Malerei sowie die Wahl von transparenten Bildgründen, sondern eine ausgesprochene Vorliebe für Ironie und eine Welterfahrung, die dem Staunen Raum einräumt.(...) 
Mit der gleichen Intensität, mit der sie die Welt um sich herum erfährt, horcht die Malerin Dagmar Rauwald auch in sich selbst hinein. Malend stellt sie die immer wieder in ihren Arbeiten auftauchende Frage “Bin ich das?” Die Antwort liegt in ihren Bildern.(...) 
aus: Die unerhörte Leichtigkeit des Seins.
Zu den Bildern von Dagmar Rauwald von Christian Kaufmann 
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Making subtle things visible with humor and irony, showing social commitment, denotes a quality of content in Dagmar Rauwald’s painting. Associations and connections determine the painter’s thinking and run like a red thread through her work. Often the investigation of the collective memory overlaps with that of her own biographical one.
Dagmar Rauwald’s pictures ask about Who are we? ’And are not afraid to touch the dark side of the question at the same time. (...)
Dagmar Rauwald’s painting thrives on a high degree of emotional expressiveness. The paint is applied to the film in quick swings, where it clumps together. Although the painting always focuses on a pictorial center, which mostly consists of one or more bodies, the compositions demonstrate openness towards the edges of the picture. Openness, transparency, glaze, heaviness, opaqueness or corporeality are some of the opposites inherent in the image, which in Dagmar Rauwald’s painting are set against each other with tension. A gestural painting that is reminiscent of the Action Painting or Art Informel of the 50s of the 20th century and how this seems to be directed inwards in order to explore your own psyche and your own emotional state and make them visible. But unlike the painters of the Informel, who switched off external reality from their pictures by exploring their own emotional world, the connection to the corporeal-representational world remains with Dagmar Rauwald, the brush strokes are formed into figures and again and again into faces. The motifs often depicting people or figures (...) are in the balance between appearance and disappearance, in the balance between a not-yet and a no-longer. (...)
Another characteristic of Dagmar Rauwald’s work is the interweaving of painting and writing. Words and sentences from her diary notes complement the painterly notations of the brush and flow into the composition of the picture. The sentences, for example, which are often written in transparent silicone on the foil, can only be read when the light is appropriate; The viewer encounters visual fragility here and in the figure motifs World experience that gives space to wonder. (...)
 The painter Dagmar Rauwald listens to herself with the same intensity with which she experiences the world around her. As she paints, she asks the question, “Is that me?” The answer lies in her pictures. (...)

Transparency as a battleground:
Mit Pastell und Plüsch gegen alte Götter und neue Dämonen
Zu den Bildern von Dagmar Rauwald von Lara Gorski

Barbara Krugers Worte „Your body is a battleground” aus dem Jahr 1989 haben seither nicht an Aktualität eingebüßt und die Kämpfe auf und um den weiblichen Körper sind noch immer nicht ausgetragen. Nicht nur diese Kämpfe sind es, welche die konzeptuelle Malerin Dagmar Rauwald in ihren Arbeiten thematisiert, sich die Autonomie über unterschiedliche Narrative wieder aneignet und so die Themen unserer Zeit in ihren Arbeiten verdichtet. Ihr battleground: die transparente Folie als visuelle Membran, die aktuelle Geschehnisse aus den Medien in einen Farbkodex überund festsetzt. Zugrunde liegt dem Ganzen das generelle Interesse Rauwalds an informalen Strukturen und Textstücken, mithilfe derer sie eine neue und notwendige Form der Malerei kreiert, die sich zwischen individueller Verarbeitung und gesellschaftlicher Relevanz verorten lässt.
Rauwalds ursprünglicher Impuls war es das abstrakte Bild als Referenz, als quasi-gemaltes Foto zu verstehen. Früh lässt die Schülerin Sigmar Polkes eine Ikonografie aus sowohl privaten wie auch gesellschaftlichen Fragmenten von Geschichte entstehen, bei welchen der Fokus zunächst auf fleischig körperlichen Innenzuständen liegt. Die Künstlerin thematisiert in ihren Werken aktuelle politische Ereignisse (Ultima latet (the last hour is hidden) | Fulda 23.07.00), setzt sich mit dem Vermächtnis des kollektiven Gedächtnisses auseinander (Social Bookarking Hamburg, AEL Langer Morgen, Hamburg-Wilhelmsburg) und befragt kulturelle Identitäten. Dabei nutzt Rauwald Codierungen und Metaphern, welche dabei helfen, die komplexe Beziehung von innen und außen begreifbar zu machen. Dem Inhalt folgt der Gestus und im Laufe der Zeit löst sich Rauwalds Malerei
immer mehr vom Malgrund und trägt zu der Entstehung dritter Räume bei, die wie ein Interface Schnittstellen der Begegnung auf transparenter Folie kreieren.
Seit der Verselbstverständlichung eines hybriden Alltags Anfang der 2000er Jahre, eröffnet die Künstlerin ihren Diskurs auf transparenter Folie, die mal gestaffelt, mal einzeln eingesetzt wird. Wo noch zu Beginn bis zu drei Folien hintereinandergelegt werden, um mehrere Momente greifbar zu machen, transportiert ihre Kunst nun immer klarer den gegenwärtigen Moment. Der Einsatz einzelner Folien rückt in den Fokus, um wie ein Dia mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Die Bildthematik reflektiert abstrakt und zurückgenommen das Hier und Jetzt, beeinflusst von den Massen an Medien in Form von Pressebildern und politischem Kontext, die uns täglich konfrontieren.
Ein Beispiel hierfür ist Tensuosly Constituted in Time, der Teil eines Zyklus von rosa und blauen Bildern auf transparenter Trägerfolie nach Skizzen von in sozialen Netzwerken gefundenen Fotos, welche stereotype Codierungen wiederholen. Durch das das bewusste Aussprechen gegen jede malerische Tradition im Umgang mit Farbe, setzt sich die Künstlerin hier kritisch mit einem zunehmend rückläufigen Frauenbild auseinander. So entstehen Bilder, die mit Textfragmenten aktueller Diskurse zusammenlaufen und den sensuellen Input aus Gesellschaft und Medien durch die malerische Brechung, wie in einem Kaleidoskop in den Raum der Folienarbeiten bringen.
Auch in den Farbcodes der Werke hinterlassen die medialen Bilder ihre Wirkung. Die Künstlerin verarbeitet hier aktuelle Kriegsgeschehnisse in Belarus, der Ukraine oder Berichten aus Flüchtlingslagern vor den Grenzen Europas. Die Eindrücke der harten Farben der Kriegsbilder werden mit sanften Rosa- und Lila-Tönen verbunden, die sich in ihrer Farbigkeit gefährlich nah an Hämatomen und Verletzungen bewegen. Pastell und angedeutete Plüschteddys stehen der schmutzigen Farbigkeit von Panzerketten, Asphalt, Stahl und Erde gegenüber. Die Dynamik des Auftrags der Gouache-Technik zeugt von einer kraftvollen Auseinandersetzung mit existenziellen und politischen Themen und setzt sie fast liebevoll-besorgt in den Schwingungsraum der Transparentfolie, wodurch die Betrachtenden zu Zeug:innen einer Greifbar-Machung des Unbegreiflichen werden.
Die schemenhafte Entropie der Geschehnisse wird als lebendiges Feuerwerk voller satter Farben leuchtend und optisch freischwebend auf dem offenen Bildträger vor Augen geführt. Man kommt nicht umhin in diesem Schritt auf die Transparenz eine Parallele zum Digitalen zu assoziieren.
Ähnlich wie in einem digitalen Raum Daten konserviert und hypertextuell vernetzt werden, setzen sich auch die Sujets der Folienarbeiten über Grenzen hinweg und messen dem Zeitfaktor eine besondere Rolle zu. Da die Farbe geführt und nie zufällig geschüttet wird, fasst sie den Moment, seine Reflexion und Emotion in der physikalischen Realität in sich ein. Wie ein gemaltes
Hologramm der modernen Welt präsentiert sich Rauwalds Kunst, die kein zeitgemäßeres Speicherbild sein könnte.
Rauwald beschränkt sich mit ihren Arbeiten jedoch nicht auf die Bildfindung im safe space des kreierten Raumes der Folie – sie geht weiter und lässt die Folie zum Akteur werden. Mit der Über- und Verwerfung von Denkmälern provoziert sie im Außenraum abermals die direkte Auseinandersetzung und Aneignung von Geschichte und hinterfragt Identitäten. In der Rauminstallation Fortläufigkeit | Ongoingness (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2018), bahnen sich die transparenten Bildträger ihren Weg zwischen chinesischem Porzellan hindurch, schmiegen sich vereinnahmend wie moderne Überwucherungen an die Ausstellungsstücke und eignen sich das Porzellan und somit auch dessen Geschichte wieder an, ganz nach gewohnter Manier des gesellschaftlichen Anspruchs in Rauwalds Schaffen. Ihre Werke kreieren eine starke Triebdynamik der physischen und mentalen Vermischung in einer Welt, in der alles ineinanderfließt, Privates und Öffentliches kaum mehr getrennt werden kann und Kriege und Leid durch die Medien gleichzeitig nah und unnahbar erscheinen. Durch eine körperliche Annäherung an existentielle Themen setzt sich die Künstlerin selbst und den Betrachter in Beziehung. Rauwalds Werk fordert die Wiederaneignung politischer, sexueller und individueller Macht ein und verhandelt diesen Prozess künstlerisch,
innovativ und unerschrocken.


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